„Wir haben hier als Familie mehr Zeit miteinander“ – Expat Interview mit Manuela (Teil 1)

30. Januar 2015

Heute möchte ich Euch Manuela vorstellen, die mit ihrer Familie 3 Jahre und ein paar Monate in Cleveland, Tennessee gelebt hat. Seit Ende November ist Manuela wieder zurück in Deutschland. Mit Manuela habe ich vor ein paar Monaten gesprochen und dann noch ein zweites Mal kurz vor ihrer Abreise. Es gibt heute also zwei Interviews zu lesen! Viel Spaß damit!

expat interview mit manuelaLiebe Manuela, Du wohnst seit Juli 2011 in den USA. Wann genau geht es für Euch denn zurück nach Deutschland?
Im November. Ich finde es super, dass ich jetzt noch ein paar Monate Zeit habe. Bisher waren wir so im Alltag drin und ich habe es zum Beispiel total verpasst, Andenken zu sammeln. Diesen Sektkorken hebe ich jetzt beispielsweise auf.
Sektkorken
Oder ein ganz normales Prospekt von einer Fast Food Kette, die mit einem fetten Essen wirbt. Da freue ich mich bestimmt später drüber.

Oder Deine Schüler! Du bist ja schließlich Englisch-Lehrerin!
Genau. Lehrerin für Religion und Englisch. Das ist auch der Grund, warum ich mir einen Sport draus mache, den Amerikanern genauer zuzuhören, zum Beispiel beim Arzt oder im Radio. Da ich eher aus dem British English komme, finde ich es total spannend, wie die Leute hier Wörter aussprechen und sayings und idioms benutzen. Das übernehme ich auch selber und ärgere mich jetzt, dass ich solche Sachen nicht schon eher aufgeschrieben habe. Um ein bisschen mehr von der amerikanischen Lebensweise mitzubekommen, lese ich ganz gerne diese seichten Promi-Magazine und gucke Serien auf Netflix. Gold Rush zum Beispiel oder Gold Miners in Alaska. Es war total interessant, die verschiedenen Menschentypen zu beobachten. Natürlich gucke ich auch Klassiker wie Ally McBeal, die ich schon von daheim kannte.

Was war besonders schön an Deinem Amerika-Aufenthalt? Was wirst Du vermissen?

  • Die Weite. Und damit meine ich nicht das große Land, sondern die großen Gärten und Grundstücke, die Grünflächen, Spielplätze. Das fällt schon auf, wenn man durch die Gegend fährt.
  • Das Reisen. Hier ist man in kürzester Zeit an vielen verschiedenen Orten. Diese Unterschiede gefallen mir gut. In Deutschland könnte man auch so viel machen, aber da man hier nur temporär ist, reist man einfach mehr. Außerdem ist das Reisen hier angenehmer, mit den breiten Straßen und den großen Autos.
  • Das Leben als Familie hat mir sehr gut gefallen. Wir haben hier mehr Zeit füreinander. Das wird eine große Umstellung.

War es hier so, wie Du es Dir vorgestellt hast?
Ich hatte gedacht, dass wir mit den Amerikanern mehr in Kontakt kommen. Deshalb haben wir auch Wert darauf gelegt, dass wir in einer amerikanischen Siedlung wohnen. Aber das gestaltet sich als eher schwierig.
Ansonsten kann ich nicht sagen, dass etwas ganz anders war, als ich es mir vorgestellt hatte. Ich war einfach nur froh, dass wir als Familie wieder zusammen waren, weil mein Mann vorher so viel auf Dienstreise war. Meine einzige Sorge war eigentlich nur, dass es meiner Tochter im Kindergarten gut geht. Sie war vorher oft bei Oma und Opa und ich wollte, dass sie schnell unter Kinder kommt, damit sie sich nicht verloren fühlt. Sie hat also gleich direkt nach dem Umzug mit dem Kindergarten angefangen.

Worauf freust Du Dich am meisten, wenn Du an die Rückkehr denkst?
Am meisten freue ich mich auf die Familie. Und auf die Schmankerl. Die gehen mir schon ab. Ich freue mich auch darauf, unser Haus umzubauen. Endlich geht was weiter! Aber ich habe schon auch Respekt vor der Rückkehr.

Aber ich habe auch Schiss davor, dass ich in Deutschland sitz und denk: „Ach wäre ich doch in Amerika.“

Wovor genau hast Du Respekt? Was beschäftigt Dich?
Am meisten Gedanken mache ich mir um die Kinder. Ich wünsche mir, dass es für sie gut weitergeht und dass sie schnell wieder Fuß fassen. Sobald wir daheim sind, haben sie zum Glück einen Platz im Kindergarten. Aber ich habe auch Schiss davor, dass ich in Deutschland sitz und denk: „Ach wäre ich doch in Amerika.“ Es wäre ganz schlimm, wenn ich diesem Leben hier nachtrauere, obwohl ich weiß, es geht gar nicht. Wenn ich das mach, dann bin ich einfach stuck und dann geht daheim nichts weiter. Ich weiß, dass es mir zu einer bestimmten Zeit so gehen wird, aber ich hoffe, dass ich da schnell wieder rauskomme.

Und wie sieht Deine berufliche Situation aus? Gehst Du an Deine alte Schule zurück?
Als Lehrerin bin ich zwar verbeamtet und habe damit einen Job sicher, weiß aber nicht, ob ich an meine alte Schule zurückkomme. Ich hoffe, dass sich meine ehemalige Chefin für meine Rückkehr einsetzt. Ich habe mich ab Februar für maximal 8-10 Stunden beworben, aber das ist ganz unsicher, weil es Mitte des Schuljahres ist. Ich müsste Glück haben, dass jemand genau dann in Pension oder Mutterschutz geht.

Hast Du hier in den USA gearbeitet oder Dich weitergebildet?
Direkt für meinen Job daheim habe ich nichts gemacht. Aber das Englisch hat mich natürlich schon weitergebracht. Ich habe Englisch-Kurse an der Universität mitgemacht und jetzt möchte ich gerne noch ein paar Kurse für angehende Englisch-Lehrer als Gasthörer besuchen. Mal gucken, ob das klappt.
Ich bedauere es sehr, dass ich nicht mehr gemacht habe. Aber ich war so in meinem Alltag drin, dass ich nicht wirklich dran gedacht habe. Ich war schwanger, hab ein Kind bekommen, wir haben viel Besuch gehabt, sind selber viel rumgekommen. Das kostet alles Zeit.

Wir wohnen ja hier im sogenannten Bible Belt. Konntest Du davon als Religionslehrerin profitieren?
Eigentlich hatte ich vor, mein Grundwissen in Religion zu erweitern. Aber das habe ich nicht geschafft. Ich war nur ein paar Mal bei einer bible study group, die hieß Cookies on the Lower Shelf (es gab jedes Mal leckere selbstgebackene Kekse). Ich durfte teilnehmen, ohne Mitglied in dieser Kirche zu sein. Die Kursteilnehmer haben mich nett aufgenommen und waren mir gegenüber sehr aufgeschlossen. Zum Semesterabschluss waren wir sogar alle privat bei der Dozentin zum Brunch eingeladen!  Thematisch ging es um die inhaltliche Zusammenfassung des Alten Testaments. Die Dozentin referierte, man las mit, Fragen wurden eher selten gestellt. Quintessenz war, dass man die Weisungen Gottes erfüllen muss und dadurch ein gutes und gelingendes Leben führen kann. Ich hatte eine kritischere Beleuchtung der Themen erwartet, ähnlich der Vorgehensweise im Studium. Ich bin gewohnt, die Texte zu hinterfragen, daher lag mir dieser Ansatz nicht. Ich freute mich aber, diese Erfahrung mitnehmen zu dürfen.

Ich sehe den Amerika-Aufenthalt als geschenkte Zeit.

Denkst Du manchmal darüber nach, wie es wäre, wenn Du in Deutschland geblieben wärst?
Mir ist schon bewusst, dass das hier ein Luxusleben ist. Und ganz ehrlich: Ich sehe den Amerika-Aufenthalt als geschenkte Zeit. Klar gab es auch mal Tiefpunkte. Aber es ist ein Ausbruch aus dem Alltag, den man nicht jederzeit wiederkriegt. Wenn ich dran denk, dass ich in Deutschland geblieben wäre, sehe ich es nur positiv, dass wir diesen Schritt gewagt haben. Es ist uns hier echt gut gegangen. Das möchte ich auf keinen Fall missen!
Auch mein Mann sagt immer mal wieder, dass er die Zeit genießt, die ich noch daheim bin. Wenn wir beide wieder arbeiten, wird’s stressiger. Ich muss dann ja meine Arbeiten am Wochenende oder am Abend erledigen. Solange die Kinder klein sind, kann und will ich das nicht nebenbei machen.

Verrätst Du uns zum Abschluss noch Deine Lieblingsplätze in Chattanooga und Umgebung?

  • T.J.Maxx für Designer-Mode zu kleinen Preisen. Peinlichster Moment: Ausnahmsweise war mein Mann mal dabei und da sagte doch diese freundliche junge Dame an der Kasse: „Oh, hello again. Kids still in school today? It’s always so nice to see you!“
  • Cracker Barrel. Da gehen wir mit jedem Besuch hin, um typisch amerikanisch zu frühstücken. Meine Tante war total begeistert, weil die ja schon nach einem Schluck Kaffee zum Nachfüllen kommen. So wie man das aus Filmen kennt!
  • Walnut Street Bridge in Chattanooga und das Karussell, mit dem ich auch ganz gern fahre.
  • Greenway in Cleveland, um spazieren zu gehen oder Fahrrad zu fahren
  • Nicht zu vergessen das Frühstück bei Panera: Immer dienstags nach dem Yoga. Dan, definitiv unser Mitarbeiter des Monats, weiß bereits, wie viele Cappuccinos und Lattes, wenn wir zur Tür reinkommen. Und freitags treffe ich mich dort regelmäßig mit meiner amerikanischen Freundin zum Lunch.

Gibt es etwas, was Du anderen Expats mit auf den Weg geben möchtest?
Meine Devise: Sei immer aufgeschlossen und sieh die Andersartigkeiten als interessante Erfahrungen. Damit fahre ich gut, denn man kann einfach nicht davon ausgehen, dass man in ein anderes Land geht und es ist so wie daheim. Es hat einige Dinge gegeben, die mich genervt haben und die ich nicht verstanden habe, aber das ist nunmal einfach so. Das kann ich nicht ändern und dann rege ich mich auch nicht darüber auf. Punkt.

Liebe Manuela, vielen Dank für das Gespräch!

Hier geht es zum zweiten Teil des Interviews, das kurz vor Manuelas Abreise nach Deutschland stattgefunden hat.  Wie es Manuela kurz nach der Rückkehr so erging, könnt Ihr hier lesen. Und falls Ihr Lust auf mehr Expat-Interviews bekommen habt, gibt es hier genug Lesestoff!

Ich bin Tina. Promovierte Linguistin, Englisch-Expertin, Professional Coach und Ex-Expat-Partner. Meinen riesengroßen Wissensdurst stille ich mit Podcasts, Büchern, Seminaren und Networking-Events. Hier teile ich mein Wissen, um Dir Inspiration und Impulse für Deine persönliche Weiterentwicklung zu geben.

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2 Kommentare

  1. Hallo Tina,

    super schönes Interview. Die Rückkehr ist tatsächlich für viele Expats mit großen Hürden verbunden und häufig gerade mit solchen, die man sich im Heimatland nicht erwarten würde. Klasse, dass du das Thema aus Expat-Perspektive angehst – danke!

    Habe dir per FB noch eine PM geschickt. :-)
    Lieben Gruß,
    Constance

    Antworten
    • Hallo Constance, vielen Dank für Deine positive Rückmeldung und Deine PM. Habe grad drauf geanwortet!

      Antworten

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