„Wir wissen, wo wir hingehen!“ – Expat Interview mit Anja

14. April 2015

Heute gibt’s endlich wieder ein neues Expat Interview für Euch! Anja ist vor Kurzem zurück nach Deutschland gereist und hat mir vor ihrer Abreise noch ein ausführliches Interview gegeben. Momentan ärgert sie sich übrigens über die deutschen Telefonanbieter, die mit Internet und Telefon auf sich warten lassen. Hier geht das in der Regel von heute auf morgen. Kostet aber auch wesentlich mehr… Aber jetzt zum Interview! Viel Spaß beim Lesen (Über ein kurzes Feedback würden wir uns sehr freuen)!

Expat Interview mit AnjaAnja, für Euch geht es in wenigen Wochen zurück nach Deutschland. Warum kehrt Ihr denn gerade jetzt zurück?
Im Juli fange ich wieder an zu arbeiten. Ich war Personalreferentin und habe das große Glück durch die Geburt von Anton, das letzte Jahr Elternzeit von Marlene und 6 Monaten Sabbatical, den Auslandaufenthalt überbrücken zu können. Wenn wir zurück sind, muss ich aber erst einmal alles regeln. Ich habe keinen festen Job, der auf mich wartet, sondern muss mich innerhalb des Konzerns bewerben.

Bist Du froh, dass es wieder zurück geht?
Ja und nein. Wir haben hier viele gute Freunde gefunden, in erster Linie Deutsche, die wir über die Kinder kennengelernt haben. Wir haben auch zu unserem Vermieter, unserem landlord, ein extrem gutes Verhältnis. Wir sind eine Art Ersatzfamilie für ihn geworden und waren jedes Jahr am 25. Dezember zum Familien-Weihnachten eingeladen. Da fällt mir der Abschied schon schwer. Erst neulich haben sie gesagt: „Wir haben Eure Kinder aufwachsen sehen und das hört jetzt auf.“ Auch meine deutsch-amerikanische Freundin, die ich erst im letzten Jahr kennengelernt habe, zeigt mir nochmal neue Aspekte an Amerika, die mir vorher gar nicht so aufgefallen sind.

Ich glaube, ich geh lieber Heim, solange ich es hier noch schön finde, damit ich eine schöne Erinnerung habe.

Das hört sich so an, als ob Du so richtig hier angekommen bist!
Das Ankommen hat fast 2 Jahre gedauert. Erst jetzt merke ich, dass ich auch hier lebe und nicht nur den Alltag regele. Ich bin angekommen, auch von der Sprache her. Es könnte schon noch ein halbes Jahr länger gehen, aber irgendwann muss Schluss sein. Das wussten wir von Anfang an. Ob es jetzt oder in zwei oder drei Monaten ist, ist dann auch egal. Es wird immer schwer sein. Ich glaube, ich geh lieber Heim, solange ich es hier noch schön finde, damit ich eine schöne Erinnerung habe.

Was wirst Du noch vermissen, außer Deinen Freunden?
Die Leichtigkeit. Du kommst hier bei vielen Sachen leichter durch, machst Dir nicht so viele Gedanken. Zum Beispiel beim Umtauschen. Daheim überlegst Du Dir, ob Du das wirklich bringen kannst, wenn Du nochmal nachfragen musst. Hier gehst Du einfach hin und fragst. Meistens sagen sie eh ja und wenn nicht, dann sind sie so freundlich, dass Du kein schlechtes Gewissen haben musst. Die oberflächliche Freundlichkeit hilft Dir sehr viel, auch wenn sie manchmal übertrieben ist. Anfangs dachte ich, da gewöhne ich mich nie dran. Dieses Gesinge ist im Süden glaube ich nochmal extremer als woanders. Der Mann vom Recycling sagt zum Beispiel immer How is your day, honey? Immer findet jemand was an Dir toll. Und Du hast immer das Gefühl, es ist alles kein Problem. Das werde ich vermissen.

Du kommst hier bei vielen Sachen leichter durch, machst Dir nicht so viele Gedanken.

Außerdem werde ich die überdimensionalen Deko-Regale im Supermarkt vermissen. Seit Halloween fotografiere ich die Regale bei Wal-Mart und Target. Diese Reihen mit riesigen Plüschtieren! Das glaubt Dir in Deutschland kein Mensch, dass die hier so abdrehen. Dass Du zu jedem Feiertag von den Küchentüchern über Magnetzettel, Stifte, Handtücher, Ballons alles kaufen kannst. Ich warte aber immer auf den Sale, denn dann ist alles 80 oder sogar 90 Prozent reduziert. Übrigens hat mich mal jemand gefragt, welche Traditionen ich in Deutschland weiterleben werde. Ich habe vor, mein Haus an Halloween zu dekorieren, ganz amerikanisch. Ich werde an Weihnachten mein Rentier in den Garten stellen und am Fourth of July die amerikanische Flagge ans Haus hängen und mit Anton ein Foto machen. Der ist ja Amerikaner!

Freust Du Dich auf Deutschland?
Ja, vor allem auf meine Freunde. Eine Freundin plant eine Welcome-Party für Marlene, zu der sie die ganzen Mädchen aus der Schulklasse einlädt. Dann hat Marlene alle vor dem ersten Schultag schon mal gesehen. Da denk ich mir, das sind wirkliche Freunde, die so was machen. Außerdem bekommen mein Bruder, mein Schwager und eine Freundin von mir in den nächsten Monaten ein Baby. Da finde ich es schön, dass ich jetzt wieder dabei sein kann. Sonst wäre ich ausgeschlossen. Es ist jetzt also ein guter Zeitpunkt für unsere Rückkehr. Und auch für Marlene macht es von der Schule her Sinn. Sie hat hier mit der Schule angefangen, kommt in Deutschland auch in die 1. Klasse und macht die letzten Monate noch ganz normal mit. Wir kommen in den Osterferien an, damit sie nicht gleich wieder los muss. Dann hat sie eine Pause gehabt und die anderen Kinder auch.

Um die Schule hast Du dich ja schon frühzeitig gekümmert. Wie sieht es denn mit einem Kindergarten für Anton aus?
Ich fand es interessant, dass bei uns im Wohnort die Schulen gar nicht mit Expat-Familien umzugehen wissen. Als ich das erste Mal in der Schule war, wurde ich mit den Worten vertröstet: „Jaja, das sehen wir dann, wenn sie da ist.“ Also habe ich der Schule die Unterlagen vom Schuleignungstest vor die Nase geknallt, damit sie wenigstens Marlenes Namen schon mal gehört hatten. Dann wurde es besser.
Einen Kindergartenplatz zu bekommen wird wohl doch nicht so unproblematisch, wie ich dachte. Mein Mann war im November daheim, hat sich ein paar Kindergärten angeguckt und alle haben gesagt, dass es kein Problem wird, Anton unterzubringen. Jetzt hat mir aber gerade eine Freundin erzählt, dass momentan die Anmeldungen laufen und ich mich anmelden sollte, weil alle Einrichtungen voll sind. Ich hoffe, dass ich Anton online anmelden kann, damit ich wenigstens irgendwo einen Platz habe.

Wie sieht der Zeitplan für Deinen Wiedereinstieg aus?
Spätestens zum Ende der Elternzeit Anfang Juli. Und es kommt natürlich auf den Job an. Vielleicht muss ich auch schon eher anfangen. Das weiß ich alles noch nicht. Ich habe mich von hier aus auch noch nicht beworben, denn ich muss auch mal schnell vor Ort sein können. Mit meinem alten Chef und Kollegen bin ich in Kontakt, aber in der Abteilung wird es für mich nichts mehr geben bzw. nicht das, was ich will.

Wie viele Stunden möchtest Du denn arbeiten?
Maximal 24 Stunden. Das wären drei volle Tage. Das geht auch nicht anders, denn ich mag nicht nur für einen halben Tag pendeln. Ich finde es schöner, mich einen vollen Tag auf meine Arbeit konzentrieren zu können und nicht immer unter Druck zu stehen, dass ich gleich jemanden abholen muss. Dafür habe ich dann aber zwei volle Tage, an denen ich was anderes machen kann.

Was hast Du vor Eurem Auslandsaufenthalt genau gemacht?
Ich war Personalreferentin mit rund 1.000 Mitarbeitern und habe in erster Linie mit den Führungskräften zusammengearbeitet: Personalentwicklung, Einstellungs- und Kündigungsgespräche, Abmahnungen, Themen mit dem Betriebsrat. Als ich nur Marlene hatte, konnte ich diesen Job in Teilzeit machen, weil ich meinen alten Bereich wieder übernehmen konnte. Alle kannten mich nach einem Jahr Elternzeit noch. Aber jetzt ist das anders. Und dieser Druck des Tagesgeschäfts ist für den Wiedereinstieg zu heftig. Vielleicht ist jetzt Strategisches Personalmanagement oder Führungskräfte-Entwicklung besser. Themen, bei denen ich nicht immer am Telefon erreichbar sein muss. Auch wenn mir das nicht so liegt. Ich habe schon gerne den Druck gehabt. Natürlich könnte ich auch in die Sachbearbeitung gehen. Aber wenn man vorher der Chef war, kann man nicht einfach jemandem zuarbeiten. Das geht auch vom Ansehen her nicht. Da wechsle ich lieber in einen anderen Bereich und gehe dann später zurück. Ich freu mich aber total, dass ich wieder eine neue Aufgabe und eine andere Bestätigung bekomme.

Hast Du hier gearbeitet oder Dich weitergebildet?
Am Anfang war der Plan, dass ich Teilzeit arbeite. Aber ich bin schnell schwanger geworden. Und mit einem festen Job hätte ich mir meine Freiheit hier kaputt gemacht. So mussten wir uns bei den Urlaubstagen nur nach meinem Mann richten und konnten einfach los. Da bin ich auch nicht traurig drüber.

Aber einen Englisch-Kurs hast Du gemacht.
Ja, von Anfang an. Erst haben wir Grammatik gemacht und später auch viel Interkulturelles über das Leben hier gelernt. Das waren coole Studenten, die uns viel erzählt haben: über Musik, Tornados, Film und Fernsehen. Am Schluss – das war das Highlight – haben wir The Help gelesen und anhand des Buches relevante Themen bearbeitet.

Wie bereitest Du zur Zeit Eure Rückkehr vor?
Ich beschäftige mich grad mit Kündigungen. Das geht hier alles von heute auf morgen. Wenn wir sagen, dass wir im März gehen, hören wir oft, dass wir uns erst zwei Wochen vor der Abreise melden sollen. Wär natürlich schön, wenn ich das jetzt schon erledigen könnte. Was weg ist, ist weg! Drei Monate Kündigungsfrist kennt man hier nicht. Und weil man viel mit Scheck bezahlt, muss man auch keine Angst vor falschen Abbuchungen haben. Außerdem informieren wir uns über das Verschiffen von Autos. Wir nehmen nämlich zwei Autos mit zurück und müssen das selber organisieren.

Ihr zieht ja wieder in Euer eigenes Haus. Stand das die ganze Zeit leer?
Ja. Und das ist vielleicht auch noch ein Punkt, warum für uns die Rückkehr einfacher ist als für andere. Wir wissen, wo wir hingehen. Unsere Kinder haben zwar mehr Zeit ihres Lebens hier verbracht, aber wir waren immer wieder in unserem Haus.

Es wird eine Herausforderung werden, das alles hinzubekommen. Auch weil ich es nicht mehr gewöhnt bin. 

Gibt es etwas, was Dir schlaflose Nächte bereitet, wenn Du an Deutschland denkst?
Wie wir das alles managen: ich arbeite, mein Mann arbeitet. Zwei Kinder müssen irgendwohin gebracht werden. Es wird eine Herausforderung werden, das alles hinzubekommen. Auch weil ich es nicht mehr gewöhnt bin. Nach vier Jahren Pause wird es generell schwer sein, wieder zu arbeiten. Ich mache mir auch Gedanken über die Umstellung von unserem weitläufigen, lockereren Leben hier in unser doch eher kleines Haus in Deutschland. Und sich wieder in Grenzen in Deutschland einfügen. Das hört sich blöd an, aber ich glaub, dass man in Deutschland bei manchen Sachen eher mal eins vor den Deckel bekommt. Da herrscht gleich ein anderer Ton. Hier sind wir total verwöhnt, weil alle immer so freundlich sind.

Expat Interview Anja Lake Ocoee Tennessee

Verrätst Du uns zum Abschluss noch Deine Lieblingsplätze in Chattanooga, Cleveland und Umgebung?

  • Yoga, Panera, T.J.Maxx am Dienstag Vormittag. So wie von Manuela beschrieben.
  • Lake Ocoee. Dort haben wir ein Boot liegen, haben den Sonnenuntergang angeguckt und ein Bierchen getrunken.
  • Unsere Porch mit den Schaukelstühlen. Hier haben wir oft gesessen und uns gedacht „Uns geht es gut“. Vor allem an so Tagen, wo es im März schon 25 Grad und daheim noch ekliges Endschneewetter war.
  • Walnut Street Bridge, Tennessee River, Aquarium in Chattanooga

Gibt es einen Tipp, den Du anderen Expats mit auf den Weg geben möchtest?
Erst mal alles von der positiven Seite sehen, dann geht alles leichter. Offen an alles ranzugehen, sich auch über Kleinigkeiten zu freuen. Ich habe mich zum Beispiel total gefreut, dass ich gleich am zweiten Tag ohne Navi nach Hause gefunden hab. Oder als ich zum ersten Mal den Menschen an der Kasse im Wal-Mart verstanden hab. Sich über so was freuen und auch stolz drauf sein. Meine Mutter hat ein paar Mal zu mir gesagt: Toll, dass ihr da rüber geht. Ihr lebt da, wo man nicht unbedingt Urlaub macht. An so einem Ort zu leben und das Hardcore-Leben mitzumachen, das macht nicht jeder.

Offen an alles ranzugehen, sich auch über Kleinigkeiten zu freuen.

Außerdem sollte man die Sprache vorher lernen und dann gleich vor Ort einen Sprachkurs machen. Daheim hast Du vielleicht nur British English gelernt, aber hier hast Du den Südstaaten-Slang. Zum Glück kannst Du bei den Amerikanern ja dreimal nachfragen und sie wiederholen es immer wieder. Aber das musst du dir auch erst einmal trauen.

Und wie sehen Deine letzten Wochen aus?
Eine Woche Urlaub hoffentlich. Und dann packen und umsortieren. Ich muss für die Packer extrem vorbereiten, weil ich nicht einfach sagen kann, dass sie alles einpacken können. Wir wohnen ja in einem möblierten Haus. Aber das kann ich nicht alles jetzt schon machen. Wir müssen ja auch noch leben und ich will nicht 7 Wochen lang in Aufbruchsstimmung wohnen. Die Kinder sollen auch Normalität haben. Und ich auch.

Liebe Anja, vielen Dank für das Gespräch. Ich drück die Daumen, dass Du bald wieder online bist!

Und falls Ihr auch Lust habt, Eure Expat-Erfahrungen (ob aktuell oder vergangen) mit mir und meinen Blog-Lesern zu teilen, dann meldet Euch bei mir: hinterlasst einen Kommentar, schickt mir eine Mail oder sendet eine Nachricht auf Facebook. Ich freu mich! Weitere Expat Interviews gibt es übrigens hier zu lesen.

Ich bin Tina. Promovierte Linguistin, Englisch-Expertin, Professional Coach und Ex-Expat-Partner. Meinen riesengroßen Wissensdurst stille ich mit Podcasts, Büchern, Seminaren und Networking-Events. Hier teile ich mein Wissen, um Dir Inspiration und Impulse für Deine persönliche Weiterentwicklung zu geben.

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2 Kommentare

  1. Vielen Dank für das Interview und viele wertvolle Infos. Erfahrungen von den anderen Expats helfen uns viel. Anja und ihrer Familie wünsche ich viel Glück!

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    • Hallo Kate, ich freu mich, dass Du von Facebook hierher gefunden hast :-) Wenn Du Hilfe brauchst, kannst Du Dich gerne jederzeit melden. Es gibt hier zum Beispiel einen monatlichen Stammtisch für Expat-Frauen und eine Facebook-Gruppe. Da gibt es viele Tipps und neue Kontakte! Herzliche Grüße, Tina

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